Wang Wei hat Glück. Und er weiß auch genau, wie es aussieht: rund und rosig, mit ein paar schüchternen schwarzen Haaren und einem winzigkleinen Kringelchen. Und natürlich sieht es ihm ähnlich. Ein Schweinchen, ganz eindeutig. Sie haben sehr lange darauf gewartet, Wang Wei, der Architekt, und Liu Xiaoyu, seine Frau. Im Mai, endlich, werden sie ein Kind bekommen. Es wird ein Sohn, das wissen sie schon. Vor einem Jahr überraschte mich Wang, als ich ihn nach seiner Familie fragte.
"Nein, wir haben noch kein Kind, wir warten noch." Worauf? Beide arbeiten und verdienen gut. Wang hat in Europa studiert und gearbeitet, ist Büroleiter bei einer internationalen Firma in Shanghai, ein fähiger Mann in seinem Beruf, fleißig und ein begabter Organisator. Warum warten? Das schien so unchinesisch zu sein. "Wissen Sie", hatte er schmunzelnd erklärt, "ich bin jetzt 35 Jahre alt, im gleichen Alter wie meine Frau. Wir warten bis 2007." Er kicherte. "Ich bin im Zeichen des Schweins geboren und meine Frau auch. Darum soll unser Kind ebenfalls ein Schweinchen werden."
Zweiter Neumond
Jetzt beginnt das Jahr des Schweins, am 18. Februar 2007. Alle Chinesen auf der Welt richten sich nach dem traditionellen Mondkalender. Der legt Neujahr auf den Beginn des zweiten Neumonds nach der Wintersonnenwende, in jedem Jahr also zu einem anderen Datum. Zwölf Tiere symbolisieren die Jahre, die Chinesen sprechen ihnen ganz verschiedene Bedeutung und Eigenschaften zu. Für alle steht fest: Das Schwein bringt Glück. Es trippelt mit seinen kurzen Beinen zwar erst am Schluss der Zwölferreihe, aber es ist besonders beliebt.
Wer im Zeichen dieses gemütlichen Tieres geboren ist, den umgibt die Aura des Glücklichen. Glück wird also auch dem kleinen Wang in die Wiege gelegt. Er wird als ehrlich gelten, als tapfer, galant und großzügig. Er hat zweifellos ein reines Herz und starke Gefühle. Und er ist mit einem großen Appetit gesegnet.
Große Erwartungen
Erst 2019 gibt es wieder ein Schweinejahr. Da richten sich große Erwartungen an die verheirateten Frauen. Sie werden, vor allem von der Schwiegermutter, für alles verantwortlich gemacht, was in der Ehe nicht wunsch- und traditionsgemäß verläuft: Schwangerschaft oder nicht, Geburt eines der weniger gewünschten Mädchen, und jetzt, wenn es kein Schweinchen wird.
Die Shanghaier Edel-Klinik "Xiyue" ist fast ausgebucht. Hier sollen die vielen Glücksschweinchen in die chinesische Welt gebracht werden, standesgemäß, nicht etwa in einem Schweinekoben. In Shanghai ist es modern, mehr als ein Kind zu haben. In der 22-Millionen-Stadt garantiert nicht mehr nur das ausländische Auto oder ein protziges Apartment das größte Ansehen bei Nachbarn und Freunden. Wer mit zwei Kindern auftritt, statt nur mit dem einen staatlich erlaubten, kann sich des Respekts sicher sein. Denn damit führt der doppelte Vater der ganzen Welt vor, dass er nicht nur die staatliche Strafe von mindestens 6000 Euro zahlen kann, sondern flüssig genug ist, zwei Kinder großzuziehen. Denn das ist sündhaft teuer in China.
Richtiges Ambiente
"Xiyue", übersetzt "Besiegeltes Glück", bietet der Mutter und ihrem Kleinen das richtige Ambiente für die Geburt. Es ist nicht nur ein Quartier für die Wehen. Das erst vor ein paar Monaten eröffnete Anwesen zeigt sich strahlend wie eine Mischung aus Kaiserpalast und Hollywood-Kulisse. Die Bettbezüge in Rot und Gold, die Möbel in den großen Suiten aus Kirschbaumholz. Natürlich mit Golfplatz, Tennis-Court, Swimming-Pool und aufmerksamem Personal. Mit Yoga-Club und Karaoke-Bar, wohl eher für den besuchenden Ehemann und neuen Vater. 4000 Euro im Monat für ein einfaches Zimmer. Für die zweigeschossige Wohnung muss man eintausend Euro pro Tag an der Kasse abgeben.
Nach der Geburt verlangt die chinesische Tradition eine lange Ruhephase von der Mutter. Sie und das Neugeborene seien dann besonders anfällig für den Einfluss böser Geister, daher sollten sie sich besser verstecken. Diese Wochen heißen auf Chinesisch "Yuezi". Das könnte durchaus mit "Gefangenschaft" übersetzt werden, befände die strapazierte Mutter sich nicht in dieser einzigartigen Geburtsklinik. "Xiyue" macht die sonst tristen Tage zu einem wohligen Urlaub, mit einem "postnatalen Wellness-Angebot" und mit Schwimmkursen für Chinas neuste Bürger.
Goldenes Schwein
In den anderen Hospitälern sieht es anders aus, gerade jetzt. Denn China erwartet im neuen Mondjahr sozusagen eine große Schweinerei. Die Geburtenrate - so erwarten Ärzte und chinesische Traditionalisten - dürfte drastisch steigen, alle wollen kleine Schweinchen. In Peking wird mit 150.000 Neugeborenen gerechnet, sechzehn Prozent mehr als 2006. Denn diesmal werden es nicht einfach nur schlichte Glücks-Tierchen, simple rosa Borstentiere, dieses Jahr zählt für viele Chinesen als "jin zhu"-Jahr, als Jahr des Goldenen Schweins. Das wird als höchstes Glück angesehen, das gibt es nur alle sechzig Jahre.
Wer dann geboren wird, hat mächtig viel Schwein und könnte Milliardär werden oder Generalsekretär der Partei oder Fußball-Held. Über weibliche Schweinchen wird viel weniger nachgedacht in China. Durchschnittlich werden 118 Jungen geboren, im Verhältnis zu 100 Mädchen. Auf dem Land und vor allem im Süden sind es 130 zu 100, in manchen Gegenden und ausgerechnet unter hohen Funktionären gar 230 Jungen und nur 100 Mädchen.
Hunde-Ehe und Schweine-Segen
Das letzte Mondjahr, das Jahr des Hundes, machte seinem Ruf als gutes Hochzeitsjahr alle Ehre. In Peking wurde soviel geheiratet wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Klar doch, die Hunde-Ehe führt zu Schweine-Segen. In einigen Krankenhäusern Shanghais liegen schon sechs werdende Mütter in Vierbettzimmern. In Peking appellierten Mediziner und Behörden an die zukünftigen Schweinchen-Eltern, nicht nur in die renommierten Geburts-Kliniken zu drängen. In den 170 Spezial-Hospitälern gibt es 3800 Betten und 3000 Ärzte und Schwestern.
Der Schweinchen-Aufgalopp bringt die staatliche Planung aber nur vorübergehend durcheinander. Denn "yinger chao", die Babyschwemme, macht sich nur als Verschiebung eines Höhepunkts innerhalb der Statistik bemerkbar, wahrscheinlich nicht in der Summe der Neubürger. Die Schwangerschaft wird einfach auf dieses Jahr hin geplant, meist auf den Druck der zukünftigen Großeltern hin. Der letzte Gipfel in der Geburtenrate bildete sich im Jahr 2000. Das war das Jahr des Drachen, er gilt als der Ur-Ahn aller Chinesen, ein besseres Tierkreiszeichen gibt es nicht.
Das größte aller Feste
Das Neujahr-Frühlingsfest ist für alle Chinesen das größte und schönste aller Feste. Etwa so wie Geburtstag, Weihnachten, Ostern und der Kalender-Jahreswechsel auf einmal. Die Tradition will, dass sich dann die Familien unter dem Dach des Vaterhauses treffen. Alljährlich findet daher zum Winterende die größte moderne Völkerwanderung statt, in China und auch bei den Auslandschinesen.
In einem Zeitraum von vierzig Tagen machen sich Milliarden über die Transportmittel her. 2,17 Milliarden Reisen werden in dem Fest-Zeitraum von 40 Tagen absolviert. Die Eisenbahn befördert diesmal 156 Millionen Passagiere. 1,97 Milliarden Busreisen sind gebucht, neunzig Prozent aller Touren. Schiffe, Flugzeuge und Autos bersten, denn Geschenke müssen mitgebracht werden, nicht nur die kleinen roten Umschläge mit Geld für die Kinder.
Chinas 200 Millionen Wanderarbeiter bleiben in einem Jahr nur elf Monate an ihrem Arbeitsplatz; sie beginnen nach Neujahr und machen sich vor dem nächsten Neujahr wieder nach Hause auf.
Last der Leckerbissen
In der Nacht vor Neujahr wird gefeiert, gespielt, gesungen, ferngesehen und gegessen. Die Tische müssen sich unter der Last der Leckerbissen biegen, sonst runzeln die Ahnen enttäuscht die Stirn. Die Familien bereiten gemeinsam Jiaozi, die traditionellen Teigtaschen mit vielen verschiedenen Füllungen. Papiergeld wird verbrannt, damit es den Vorfahren im Jenseits an nichts mangelt. Um Mitternacht zischen Leuchtraketen in den Himmel, lauter Böllerknall soll die bösen Geister vertreiben. Etwa eine Woche vorher und eine Woche danach ruht das offizielle China. Nichts geschieht, außer das Wetter. Und das ist am Neujahrstag in Peking fast immer kalt aber sonnig.
Wang Wei hält den roten Gürtel bereit, der ihn im neuen Mondjahr als einen der Ausgewählten ausweisen soll. Sogar Minister und Geschäftsleute tragen, wenn ihr Tierkreiszeichen das Jahr prägt, gern ein kleines rotes Bändchen am Gürtel oder am Jackett. Diesmal strahlen und strotzen all diejenigen, die beim Geburtsjahr Schwein gehabt haben. Wenn es an ihrer Kleidung irgendwo rot aufblitzt, dann wissen alle, dass sie zum Geheimbund der Glücklichen gehören.
Nur die Schweine haben nichts von ihrem guten Ruf. Naja, in Taiwan haben Bauern diesmal eine Schweinehochzeit veranstaltet. Das Pärchen war in Schleier und Anzug gekleidet und der Eber Shui Fu-ko durfte seine wunderschöne, rosarote Braut Huang Pu-pu küssen. Aber das Jahr der Ratte, das am 7. Februar 2008 beginnt, werden sie nicht erleben. Es sei denn, als Portionen beim nächsten Neujahrsmahl. Pech gehabt, die armen Schweine.
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