Wednesday, February 13, 2008

Wenn Drachen Schiffe schleppen

Seefahrt

Wenn Drachen Schiffe schleppen

Von Henning Sietz

13. Februar 2008 Normalerweise sind Reeder eher konservative Menschen: Läuft eine Sache gut, wird nichts daran geändert. Doch seit die Preise für Treibstoff auf mehr als 600 Dollar je Tonne gestiegen sind, denken die Reeder darüber nach, wie sie diese Kosten senken können. Was ihnen die Globalisierung an lukrativen Aufträgen mit satten Gewinnen verspricht, machen die Ölpreise sonst im Handumdrehen zunichte.

An Ideen mangelt es nicht. Die einfachste lautet: langsamer fahren. Noch vor wenigen Jahren wollten Schiffsingenieure Containerfachter mit 28 Knoten (knapp 52 km/h) Höchstgeschwindigkeit bauen. Doch man kommt auch langsamer ans Ziel, dazu billiger und mit geringeren Emissionen. Jeder Knoten an der Spitze wird mit wesentlich höherem Treibstoffverbrauch erkauft als bei langsamer Fahrt.

Ein Zugdrachen für ein Schiff

Eine andere Idee: Die Schiffe werden mit einem Hilfssegel ausgestattet, genaugenommen mit einem Zugdrachen. Die Idee ist eigentlich alt. Bereits die Chinesen ließen Drachen steigen, auf dass der Wind ihre Dschunken schleppen möge. Doch im Gegensatz zu den Segeln aus dem Reich der Mitte ist das heutige Drachensegel ein Hightech-Gerät. Vor Jahren machte der Hamburger Ingenieur Stephan Wrage Urlaub auf Spiekeroog. Er war begeisterter Drachensegler. In seinen Händen konnte er spüren, welch starken Zug ein Drachen entfalten kann, wenn der Wind kräftig bläst und das Fluggerät rasend schnell Schleifen ziehen lässt.

So war's geplant: Computersimulation des innovativen Antriebs Anfang und Ende: Der Teleskopmast Der Frachter lässt den Drachen steigen und nutzt den zusätzlichen Vortrieb Hilfestellung von oben Blick nach oben: Zugdrachendaten auf dem Bildschirm

Damit war die Idee geboren: ein Zugdrachen für ein Schiff. Der Ingenieur entwickelte seine Idee weiter und gründete das Unternehmen SkySails GmbH mit Sitz in Hamburg. Vor wenigen Jahren trat er mit seiner Idee an die Öffentlichkeit. Er erntete Spott und müdes Lächeln aus den Kreisen der Schifffahrt. Heute spottet niemand mehr, im Gegenteil. Er habe mehrere Aufträge, noch mehr Reservierungen und erhalte zahlreiche Anfragen von Interessenten aus aller Welt, berichtet der Unternehmer. Im vergangenen Dezember war in Hamburg Taufe des Schwergutfrachters „Beluga SkySails“ der Bremer Beluga Shipping GmbH. Die 1995 von Niels Stolberg gegründete Reederei hat sich als eine der ersten entschlossen, das „SkySails-System“ - so die geschützte Bezeichnung - auf ihren Schiffen einzusetzen. „Ich kann Ihnen nichts garantieren“, sagte Stolberg damals seinen Gästen. „Es kann sein, dass uns das Segel im Atlantik um die Ohren fliegt.“

Jungfernfahrt im Januar

Im Januar war das erste mit einem Zugdrachen ausgestattete Schiff der Reederei, jene 132 Meter lange Beluga SkySails, mit einer Fabrikausrüstung an Bord auf Jungfernfahrt nach Venezuela aufgebrochen. Zurzeit steuert der Frachter durch die Karibik den Hafen Davant bei New Orleans an, Anfang März wird er in einem norwegischen Hafen anlegen. Wann immer die Winde günstig stehen, setzt die Crew das Segel. Noch ist es ihr nicht um die Ohren geflogen.

Bevor der Schwergutfrachter Mitte Januar in Bremen ablegte, lud die Reederei zu einer Probefahrt in der Wesermündung ein. Da die Mannschaft den Zugdrachen auf dem werftneuen Schiff noch nicht ganz in Betrieb hatte nehmen können, war die Probefahrt spannend. Erschwerend kam hinzu, dass am frühen Nachmittag der Wind nachließ. Ohne Wind kein Segel, ohne Segel kein Hilfsantrieb. Nach einer Stunde kam endlich eine kräftige Brise auf und blies die Luftkammern des schlaff am Mast hängenden Zugdrachens auf, so dass er seine elegante Bogenform annahm und am Zugseil aufsteigen konnte. Vorschriftsgemäß stand er dann über dem Vorschiff, am straffen Seil.

„Letzten Endes hat die Neugier gesiegt“

Das SkySails-System ist nicht einfach ein Segel, das im starren Flug über dem Vorschiff steht und mittels einer Leine das Schiff schleppt. Die Kraft, die sich auf diese Weise selbst bei starkem Wind entfalten würde, wäre viel zu gering. Der Zugdrachen muss große Achten fliegen, die von einer unter dem Segel hängenden Gondel gesteuert werden. Da der Querschnitt des Drachensegels wie die Tragfläche eines Flugzeugs beschaffen ist, entsteht bei dem Flug an der Vorderseite ein Unterdruck, der das Segel vorwärts zieht. Im Gegensatz zum starren Flug lassen sich nur im dynamischen Flug sehr hohe Anströmgeschwindigkeiten erzielen. Die Kraft wächst im Quadrat: Eine Verdoppelung der Anströmgeschwindigkeit des Drachens ergibt die vierfache Zugkraft.

SkySails besteht aus mehreren Komponenten, die sich nachträglich auf fast jedem Frachter einbauen lassen. Das Drachensegel wird im Vorschiff unter der Back in einem Stauraum aufbewahrt, zusammen mit der koffergroßen Steuergondel. Durch eine Luke wird es auf die Back gezogen und an einem Teleskopmast eingehängt, der sich auf 15 Meter Länge ausfahren lässt. Durch zwei Öffnungen im Segel bläst der Wind das Drachensegel auf, so dass es bereits am Mast seine durch zahlreiche dünne Schnüre vorgegebene Bogenform annimmt. Die Schnüre laufen in der gelben Steuergondel zusammen. Bei Windstärke drei ist der Moment gekommen: Das Segel schwebt zügig empor, nur gehalten von einer gelben Leine, welche die Zugkraft auf das Schiff überträgt. In knapp 300 Meter Höhe beginnt der Zugdrachen seine großen Achten zu fliegen, die von der Gondel durch Steuerseile vorgegeben werden. Auf der Brücke sieht die Crew auf einem Bildschirm, in welchem Bereich das Segel seine Kraft entfalten kann und wie das Schiff zu steuern ist. Verlässt das Schiff den günstigen Sektor oder dreht der Wind, können Bereiche erreicht werden, in denen das Segel zwar noch Achten fliegt, aber kaum noch echte Zugkraft entfaltet. Ein Schiffsführer kann also nicht einfach drauflosfahren, er muss das System kennen und mitdenken. Im Extremfall kann ein Zugdrachen in die See stürzen. Gerät das Zugseil in den Propeller, wäre der Schaden unabsehbar.

Kapitän Heldt sieht die möglichen Gefahren gelassen: „Wir müssen uns nur an paar Regeln halten: Wir dürfen nicht über 300 Meter fliegen, nicht im Verkehrstrennungsgebiet segeln und nicht nah an der Küste“, erläutert er. An das neue System musste er sich erst gewöhnen: „Am Anfang hatte ich gemischte Gefühle dabei, aber letzten Endes hat die Neugier gesiegt.“ Auf einem Segelschiff hat Heldt, der seit 42 Jahren zur See fährt, noch nie gearbeitet, die notwendigen Kenntnisse für SkySails hat er sich in einem Spezialkursus erworben. „Wenn etwas schiefläuft, genügt ein Druck auf den Notknopf, und die Leine zum Segel wird gekappt.“

Automatisch den Bogen raus

Das Innovative am SkySails-System steckt in der koffergroßen gelben Gondel, in der mehrere Rechner über Leinen den Flug des Drachens steuern. Das System arbeitet vollautomatisch: Die Mannschaft muss sich also nicht überlegen, ob der Drachen im optimalen Bogensegment schwebt, wo er sicher fliegt und genügend Zug entwickeln kann. Der Wind muss im übrigen nicht unbedingt von achtern kommen. Er kann auch seitlich eintreffen, wobei die erzielte Zugkraft abnimmt. Steht das Segel querab zur Fahrtrichtung, ergibt sich in der Summe der Kräfte kein Vortrieb.

Das 8 mal 20 Meter große Segel entfaltet im Durchschnitt etwa acht Tonnen Schub. Da die Zugleine schräg am Himmel steht, kommen nur etwa vier Tonnen echte Zugkraft am Schiff an. Bei 20 Tonnen Schubkraft, die für die Reisegeschwindigkeit von 12 Knoten (22,2 km/h) der 10 000 Tonnen verdrängenden Beluga SkySails erforderlich sind, macht das 20 Prozent der gesamten Schubkraft aus. Der Kapitän kann nun die Hauptmaschine drosseln. Von diesem Zeitpunkt an sinkt der Treibstoffverbrauch des Frachters. Da das Segel voraussichtlich auf 30 bis 40 Prozent der Fahrtstrecke eingesetzt werden kann, ergibt sich rechnerisch eine Ersparnis von sechs bis acht Prozent.

Bonus für die Mannschaft

Vorerst gibt es nur Schätzungen, wie viel Treibstoff eingespart werden kann. „Erst wenn die Beluga SkySails in einigen Wochen von ihrer ersten großen Fahrt zurückkommt, werden genaue Zahlen vorliegen“, sagt Stephan Brabeck, einer der Geschäftsführer von SkySails. Von dieser Pilotphase hängt viel für das Unternehmen ab. Mit rund 500.000 Euro gibt Stolberg die Investition für ein Schiff von der Größe der Beluga SkySails an, inklusive der notwendigen Verstärkungen auf dem Vorschiff. Das Segel und die Leine unterliegen hohem Verschleiß, bedingt durch die salzhaltige Luft, vor allem aber durch die Sonneneinstrahlung, die der Beschichtung des Segels zusetzt. Brabeck rechnet im Dauerbetrieb mit zwei Drachen im Jahr: „Wir testen besser geeignete Beschichtungen, so dass das Segel dem Sonnenlicht länger widerstehen kann.“

Diesmal genügt ein Knopfdruck, und die Leine des Drachensegels wird eingeholt. Keine zwei Minuten, und das Segel hängt wieder am Teleskopmast auf dem Vorschiff. Der Mast fährt herunter, Segel samt Gondel werden geborgen, Luke zu. Wäre der Zugdrachen feucht geworden, würde im Stauraum ein Gebläse Luft hindurchpusten, um ihn zu trocknen. Damit das System nach Kräften genutzt wird, erhält die Mannschaft 20 Prozent der Treibstoffersparnis als Bonus ausbezahlt, vom Kapitän bis zum Schiffsjungen. Selbst der Koch wird über seinen Töpfen jede Minute segnen, die der Drachen seine Achten über dem Schiff ziehen wird.

Große Pläne liegen in der Schublade

SkySails hat längst Pläne für größere Systeme in der Schublade. Nach dem 160 Quadratmeter großen Segel der Beluga SkySails sind Zugdrachen von doppelter und vierfacher Fläche geplant. „Bei 1250 Quadratmeter ist Schluss, da wiegt die Gondel allein 130 Kilogramm“, sagt Brabeck. Eine weitere Grenze ist die Größe der Schiffe: 180 bis 200 Meter Länge, etwa 100.000 Tonnen Verdrängung, gelten als Obergrenzen.

Am besten eigne sich das SkySails-System für Tanker, Massengutschiffe und kleine Containerfrachter mit 12 bis 15 Knoten Fahrtgeschwindigkeit (22 bis 27 km/h). Containerschiffe der Postpanamax-Klasse mit einem Riesen-Zugdrachen unter der Sonne wird es also nicht geben. Insofern bleibt den Reedereien großer Containerschiffe vorerst nur die langsamere Fahrt, um die Treibstoffkosten zu senken.

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