Friday, March 14, 2008

Das heimliche Autoland

Bremerhaven

Das heimliche Autoland

Von Boris Schmidt

13. März 2008 Alle deutschen Automobilhersteller agieren längst als die oft beschworenen „Global Player“. Sie bedienen (fast) alle Märkte der Welt, und sie produzieren in vielen Ländern. Die allgemeine Tendenz, mit der Produktion dort hinzugehen, wo der Markt ist, bringt zwar am Standort Wettbewerbsvorteile. Aber dann wird in aller Regel ein Reimport der eigenen Ware fällig.

Beispiele dafür gibt es genug: VW New Beetle, Mercedes-Benz ML, BMW X5 - alles deutsche Autos, aber „not made in Germany“. Kein Wunder, dass der Autotransport boomt. Die Logistiker kommen kaum mit dem Schaffen von Kapazitäten nach. In Bremerhaven hat man diese Entwicklung nicht verschlafen und in den vergangenen zehn Jahren eine veritable Erfolgsgeschichte geschrieben: Statt einer Million Fahrzeuge - wie noch 1998 - werden jetzt doppelt so viele umgeschlagen.

Jährlich verlassen 1,2 Millionen Neuwagen das Land

Im riesigen Hafengelände (2,1 Millionen Quadratmeter hat das Autoterminal) herrscht ein ständiges Kommen und Gehen: Jährlich verlassen 1,2 Millionen Neuwagen das Land, 800.000 kommen herein. 1300 große Pötte laufen im Jahr den Hafen an, im Schnitt fünf an einem Werktag. Das heißt, täglich müssen 7700 Autos bewegt werden. Fünferteams holen die Fahrzeuge von den großen Schiffen. Einer davon ist dabei der „Taxifahrer“, der die anderen vier vom Schiff zurückfährt oder zum Schiff bringt, je nachdem, ob be- oder entladen wird. Für 1500 Wagen sind rund sieben Stunden nötig. Oberste Maxime beim Ausladen ist - neben dem unfallfreien Fahren -, die Autos so wenig wie möglich zu bewegen, damit die Zahl der zurückgelegten Kilometer später beim Endkunden auf jeden Fall noch einstellig ist.

n den großen Überseefrachtern finden bis zu 6500 Fahrzeuge Platz, eine Asien-Tour dauert ungefähr einen Monat. Nach Amerika geht es etwas schneller. Die Fahrzeuge werden auf 12 bis 16 Decks verteilt und stehen dicht an dicht. Um die reinen Transportkosten für eine Überseefahrt wird gern ein großes Geheimnis gemacht, in der Branche spricht man von weniger als 400 Euro je Einheit.

Schiffskapazitäten und Parkflächen

Für kürzere Distanzen gibt es sogenannte Feeder-Schiffe. Die fahren von und nach Großbritannien sowie nach Skandinavien, immer wichtiger werden Russland und das Baltikum. Manchmal wird gleich umgeladen, ohne Zwischenstopp. Doch das ist der Idealfall. In der Regel lässt der Weitertransport auf Straße oder Schiene meist einige Tage auf sich warten; daher braucht man in Bremerhaven nicht nur Schiffskapazitäten, sondern auch große Parkflächen: Bis zu 120.000 Autos können auf dem Terminal-Gelände abgestellt werden, 40.000 Plätze sind überdacht.

Wer über das riesige Gelände stromert, sieht viele Autos von BMW und Mercedes-Benz (Exporte, aber auch Importe). Als Versendehafen nutzen Bremerhaven zudem Peugeot und Citroën sowie zum Teil der Volkswagen-Konzern. Übrigens ist Emden als Standort eines VW-Werks mit einer Million Exporte (keine Importe) größter deutscher „Konkurrent“ von Bremerhaven. Kleinere Kapazitäten haben zudem Cuxhaven und Hamburg.

Eine Lagerhausgesellschaft, die längst keine mehr ist

Als Einfallstor wird Bremerhaven unter anderen von Ford, Hyundai, Kia, Mitsubishi, General Motors und Suzuki genutzt. Aber nicht alle japanischen Hersteller kommen an die Weser-Mündung. Nissan wickelt seinen Deutschland-Import über Amsterdam ab, Mazda über Antwerpen, Honda über Gent. Toyota war lange Jahre Kunde (und ist es noch), bringt den Großteil seiner asiatischen Autos jetzt aber über Zeebrugge nach Europa.

Erster Ansprechpartner für einen Importeur ist die 1877 gegründete Bremer Lagerhausgesellschaft (BLG), die über ihr Geschäftsfeld Automobile Logistics für das Laden der Fahrzeuge verantwortlich zeichnet. Doch die BLG ist längst mehr als eine Lagerhausgesellschaft. Sie beschäftigt 13.700 Menschen. Bremerhaven/Bremen ist nur einer von vielen Standorten, wenn auch mit 6500 Mitarbeitern der größte. Außer um Autos kümmert man sich noch ums Containergeschäft und die Teilelogistik von Mercedes-Benz. Der jährliche Gesamtumsatz betrug im Jahr 2007 gut 900 Millionen Euro.

Erst in Deutschland im endgültigen Verkaufszustand

Das angestammte Terrain hat man längst verlassen - auch räumlich: So ist die BLG außer in Cuxhaven und Hamburg auch in Gioia Tauro in Süditalien (wichtig als Tor zum südlichen Mittelmeer) und in Koper in der Slowakei als Autoverlader aktiv. Außerdem transportiert man die Fahrzeuge auf der Straße weiter zum endgültigen Bestimmungsort: 450 Lastwagen fahren für die BLG, und selbst Binnenschiffe sind für die Bremer unterwegs. Zählt man alles zusammen, werden 4,9 Millionen Autos von der BLG umgeschlagen.

Letztlich gehören durch geschicktes Zukaufen auch die PDI-Zentren in Bremerhaven zum BLG-Reich. PDI steht für Pre-Delivery Inspection, wobei dieser Begriff etwas in die Irre führt. Zur Inspektion müssen die Autos nicht, wohl aber werden sie gewaschen oder entwachst. Bei manchen sind auch kleine oder größere Transportschäden zu beseitigen. Zudem sind fast alle Importeure dazu übergegangen, die Fahrzeuge erst in Deutschland in ihren endgültigen Verkaufszustand zu versetzen. So werden in Bremerhaven Klimaanlagen eingebaut oder Sonnendächer, oder es wird gar die Stoffpolsterung durch Leder ersetzt. 450.000 Wagen im Jahr werden durch die BLG-PDI geschleust.

Einer der großen Wachstumsmärkte

Für BMW und Mercedes-Benz betreut die BLG die Autos sowohl auf der Ein- wie auch auf der Ausreise. Fahrzeuge, die aus Amerika kommen, werden „aufbereitet“, wobei es nicht nur ums Waschen geht, sondern auch hier kommt das eine oder andere Ausstattungsdetail erst jetzt in den Wagen. Gleiches gilt für den umgekehrten Weg: Als wir in der Werkstatt waren, wurde bei einer S-Klasse gerade die 250-km/h-Limitierung aufgehoben - für einen Kunden in Wisconsin. In die PDI-Abteilungen wird die BLG - die zu 50,4 Prozent der Stadt Bremen gehört - bis zum Jahr 2012 weitere 170 Millionen Euro investieren.

Vor allem der für BMW und Mercedes-Benz tätige Bereich soll ausgeweitet werden. Noch in diesem Jahr sollen 150 neue Arbeitsplätze entstehen. Doch der rührige BLG-Chef Dethloff Aden blickt außer auf den Ausbau des Stammsitzes schon längst weiter über den Tellerrand hinaus. Russland ist einer der kommenden Märkte, zurzeit werden Verhandlungen über ein BLG-Terminal in St. Petersburg geführt. Und ans Schwarze Meer muss die BLG auch. Eines ist klar: Die Logistik von Neuwagen ist einer der großen Wachstumsmärkte.



Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 09.03.2008, Nr. 10 / Seite V7
Bildmaterial: BLG

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