Verkehr in China
5000 Kilometer Autobahn im Jahr
Von Dyrk Scherff
12. Juni 2008 Canning Wang besitzt jetzt ein Auto. Zum ersten Mal in seinem Leben - mit 44 Jahren. Damit fährt er jeden Tag zur Arbeit in die Außenbezirke von Peking. „Auf mein Fahrrad, das ich früher oft benutzt habe, setze ich mich jetzt nur noch am Wochenende“, sagt Wang.
Zwei Jahresgehälter hat ihn der kleine Citroën aus chinesischer Produktion gekostet. Während in Deutschland schon viele Studenten mit eigenem Wagen herumfahren, musste Wang nach der Uni mehr als zehn Jahre arbeiten, bevor sein Traum in Erfüllung ging. Doch Beispiele wie das von Wang werden schnell mehr. Es ist typisch für die rasch wachsende Mittelschicht in China, dass sie sich ein eigenes Auto leisten kann. Und es sich auch tatsächlich kauft. In den vergangenen drei Jahren ist die Zahl der Autos um 60 Prozent gestiegen, aber noch immer haben erst 8 Prozent der Haushalte einen eigenen Wagen.
Gehaltssteigerungen von teilweise zehn Prozent und mehr im Jahr machen den raschen Zuwachs möglich. Das Durchschnittseinkommen liegt nahe an der Schwelle von 2000 Euro, über der die Motorisierung nach den Erfahrungen in anderen asiatischen Ländern sprunghaft zunimmt. Aus dem Fahrrad- und Mopedland wird die Autonation China, vier statt zwei Räder lautet das Motto. Die Rikscha wird in den Städten nur noch für Touristen gebraucht.
Dramatisch wird das Stauproblem durch den Gütertransport
Für die Verkehrsinfrastruktur ist das eine gewaltige Herausforderung. Schon jetzt kommen die Autos in den Millionenstädten Peking oder Schanghai selbst auf den großen achtspurigen Straßen oft nur im Joggingtempo voran - und das den ganzen Tag, nicht nur zur Hauptverkehrszeit. Die Fahrräder auf den Extraspuren rollen bequem an ihnen vorbei. So hat Wang zwar jetzt ein Auto, aber schneller ist er trotzdem nicht. Die Flucht in die Städte verschärft die Situation zusätzlich.
Richtig dramatisch wird das Stauproblem aber durch den Gütertransport. Das rasante Wachstum von Chinas Wirtschaft von durchschnittlich zehn Prozent im Jahr erhöht auch die zu transportierenden Mengen enorm. Und verstopft die Straßen weiter, denn 70 Prozent davon übernehmen Lastwagen, weil sie billiger und schneller sind als die Bahn.
Die Eisenbahnen leiden unter fehlenden Terminals, an denen Container vom Lastwagen auf die Schiene umgeladen werden können. Zudem sind die Streckenkapazitäten viel zu klein. Das hat Folgen: Kohletransporte für die Energieproduktion und vor Feiertagen und am Wochenende auch Passagierfahrten genießen Vorrang, die Containerzüge haben zu warten, klagen westliche Speditionen, die in China aktiv sind.
350 Milliarden Euro werden bis 2010 investiert
Der Straßenverkehr kann das nur auf den Autobahnen ausgleichen, die im dichtbesiedelten und industrialisierten Osten und Süden europäische Maßstäbe erreichen. „Nördlich von Hongkong sind sie sogar schon für die nächsten zwei Jahrzehnte ausgebaut“, erklärt Achim Haug, China-Experte bei der Bundesagentur für Außenwirtschaft. Die Autobahnen sind mautpflichtig. Bei üppigen Preisen von rund 15 Euro für 300 Kilometer halten sie offenbar auch einige Autos ab, der Verkehr fließt besser als in der Stadt. „Je weiter man freilich in den Westen Chinas fährt, desto schlechter wird die Straßenqualität, vor allem nach Verlassen der Schnellstraße“, sagt Haug.
Die chinesische Regierung hat die Engpässe erkannt und investiert gewaltige Summen, damit sie nicht zum Hindernis für den weiteren wirtschaftlichen Aufstieg Chinas werden. Die Dimensionen sind für Deutsche kaum vorstellbar. Im aktuellen Fünf-Jahres-Plan von 2006 bis 2010 fließen 350 Milliarden Euro in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, doppelt so viel wie in den fünf Jahren zuvor. Zum Vergleich: Deutschland wird in diesem Zeitraum 56 Milliarden Euro verbauen, der ganze Bundeshaushalt 2008 macht nur 280 Milliarden aus.
Kein anderes Land der Welt kann mit dem chinesischen Tempo mithalten. Selbst das schnell wachsende Indien investiert nur die Hälfe davon. Unter den Schwellenländern der Erde steht China schon für 40 Prozent aller Infrastrukturausgaben. Noch nie in der Geschichte hat ein Land so viel in Verkehrsprojekte gesteckt. Es übertrifft selbst die Dimensionen, die im 19. Jahrhundert Großbritanniens Eisenbahneuphorie während der Industrialisierung auslöste. China vollzieht diese Entwicklung Europas jetzt nach - nur viel schneller und dynamischer.
Auch der Westen soll besser erschlossen werden
Die Chinesen arbeiten mit immenser Geschwindigkeit. Dank schneller Planung ohne Einspruchsmöglichkeiten der Bevölkerung stellt das Land im Jahr fast 5000 Kilometer neue Autobahn fertig, in drei Jahren so viel, wie in Deutschland überhaupt existieren. Das Netz umfasst mittlerweile 53 000 Kilometer und ist schon jetzt das zweitgrößte der Welt nach den Vereinigten Staaten. Vor zehn Jahren gab es in China gerade einmal 7000 Kilometer.
Ziel des Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur ist dabei nicht nur, Engpässe im Osten zu beseitigen. Auch der Westen soll besser erschlossen werden. Aus politischen Gründen, um mehr Regionen und Menschen am wirtschaftlichen Erfolg des Landes teilhaben zu lassen. „Aufbau einer harmonischen Gesellschaft“ nennt das die Regierung. Und aus wirtschaftlichen Gründen. Denn im Osten werden die hohen Grundstückspreise, stark steigende Gehälter und das Fehlen qualifizierter Arbeitskräfte zum Problem und zwingen Teile der Wirtschaft, in den billigeren Westen abzuwandern. Hier beträgt der Lohn nur zehn Prozent des Ostniveaus. Straße und Schiene folgen der Wirtschaft.
Schließlich sollen die Investitionen auch endlich die Bahn voranbringen. Sie steht vor einer Renaissance. Dabei geht es ähnlich schnell zu wie beim Straßenbau. Von 2006 bis 2010 werden 17.000 Kilometer neue Strecken gebaut, in Deutschland werden es keine 200 sein. Einige gigantische Projekte sind schon fertig, wie die 1100 Kilometer lange Strecke nach Tibet, die wegen ihrer extremen Höhenlage in den Bergen des Himalaja sehr teuer wurde. Weitere mehr als tausend Kilometer nach Nordwesten quer durch die Berge der annektierten Provinz sind geplant. Genauso kühn erscheint eine 150 Kilometer lange Meeresbrücke nach Taiwan, falls sich die politischen Verhältnisse zwischen beiden Ländern weiter entspannen.
Der deutsche ICE verbindet bald Peking und Schanghai
In Aufbau ist zudem ein 10.000 Kilometer langes Hochgeschwindigkeitsnetz im Osten des Landes, auf dem Personenzüge mit bis zu 350 Stundenkilometern dahinrasen werden. Bisher sind allenfalls 200, in Ausnahmefällen 250 Stundenkilometer möglich. Die neuen Strecken schaffen auf den bestehenden Gleisen die dringend erforderlichen Kapazitäten für den Gütertransport.
Anfang August, kurz vor dem Beginn der Olympischen Spiele, geht ein kleiner Teil des Netzes in Betrieb und wird zur bisher schnellsten Strecke in China. Sie verbindet Peking mit der Küstenstadt Tianjin, in der die Segelwettbewerbe stattfinden. Auf dieser Strecke kommt der deutsche ICE mit Tempo 300 zum Einsatz. Er wird 2009 auch auf der neuen Linie zwischen Peking und Schanghai unterwegs sein. 60 Züge hat die Regierung bestellt. Bisher fahren schon Exemplare des japanischen Schnellzuges Shinkansen und ein Modell von Bombardier durch den Osten.
Der deutschen Magnetschwebebahn Transrapid verhilft der Infrastrukturboom bisher hingegen nicht zum Durchbruch. Sie verkehrt weiter nur auf wenigen Kilometern in Schanghai. Die lange diskutierte und vage vereinbarte Verlängerung ins Zentrum der Millionenmetropole und nach Hangzhou ist noch immer nicht endgültig beschlossen. Zuletzt behinderten Bürgerbeschwerden aus Angst vor Lärm eine Entscheidung der Regierung. Deutsche Experten in Peking erwarten, dass ein Beschluss erst nach den Olympischen Spielen oder möglicherweise sogar erst nach der Weltausstellung Expo 2010 in Schanghai fällt, denn die Staatsführung will neue Klagen aus der Bevölkerung vor diesen beiden Großereignissen vermeiden. Das Transrapid-Konsortium wartet seit langem auf die Verlängerung, um die internationalen Vermarktungschancen des Zuges zu verbessern.
Innerhalb von fünf Jahren baut China 44 Flughäfen
Schiene und Straße machen etwa 80 Prozent der gesamten Verkehrsinvestitionen von 2006 bis 2010 aus. Für den Export wichtig sind auch die Häfen an der Ostküste, die das Land mit dem Rest der Welt verbinden. Schon jetzt liegen drei der vier größten Containerhäfen der Erde in China. Mit ihrem Mengenwachstum von mehr als 20 Prozent im Jahr dürften sie spätestens im kommenden Jahr Singapur vom ersten Platz verdrängen. Daher werden auch hier Milliarden investiert.
Genauso wie in die Flughäfen. Während in Deutschland allein für die neue Landebahn des Frankfurter Flughafens zehn Jahre geplant wurde, werden in China in kürzerer Zeit mehrere komplette Airports gebaut, vor allem im Westen. 44 neue Landeplätze werden zwischen 2006 und 2010 fertiggestellt. 186 hat dann das Land, zehn davon werden zudem ausgebaut. Peking dürfte zu einem wichtigen Drehkreuz in ganz Asien werden. Nach Passagierzahlen hat der Flughafen mit Frankfurt gleichgezogen. Das gerade eröffnete, von Stararchitekt Norman Foster entworfene neue Terminal 3 in Drachenform hat daran einen großen Anteil. Die aus dem Ausland einschwebenden Gäste der Olympischen Spiele werden für einen weiteren Sonderschub sorgen. Nur im Frachtgeschäft hinken Chinas Flughäfen noch weit hinterher, wachsen aber schnell, um bis 30 Prozent im Jahr. Sie könnten davon profitieren, dass China zunehmend Hochtechnologie produzieren will, die vorzugsweise per Luft befördert wird.
All die gigantischen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur kann sich China nur leisten, weil die Steuereinnahmen durch den Wirtschaftsaufschwung kräftig sprudeln. Das Haushaltsdefizit fiel von 2,6 Prozent im Jahr 2002 auf derzeit fast null. Das eröffnet größere finanzielle Spielräume, reicht aber nicht aus. Die Regierung will die Mittel auch durch die Beteiligung von Privatunternehmen vor allem aus dem Ausland aufbringen.
Das sind etwa Banken und Versicherungen, die sich an den Infrastrukturunternehmen wie dem börsennotierten Bahnbauer China Railway Group, dem Autobahnbetreiber Shenzhen Expressway oder dem Hafen Dalien Port beteiligen. Oder die Deutsche Bahn, die über ihre Logistiktochter DB Schenker am Aufbau von 18 Containerterminals in China mitwirkt. „Dadurch bekommen wir die Transportmengen auf die Schiene, die wir für den wirtschaftlichen Betrieb der geplanten Eisenbahn-Landbrücke zwischen Asien und Europa brauchen“, umreißt Bahnchef Hartmut Mehdorn die Bedeutung für sein Unternehmen.
Canning Wang interessieren solche Baumaßnahmen mit globalem Hintergrund kaum. Er steht weiter mit seinem Citroën im Stau von Peking. Und hofft, dass sich auch in der Hauptstadt bald mehr bewegt - im wahren Sinne des Wortes. Die Hoffnung ist begründet. Bis 2020 wird sich die Länge des U-Bahn-Netzes verfünffachen - auf 560 Kilometer. Mehr wird dann wohl keine Stadt der Welt haben. Das schafft vielleicht Platz auf der Straße. Damit Wang endlich vorankommt.
Deutsche Unternehmen liefern Züge, befestigen Schienen und statten Flughäfen aus
Siemens
Der Münchner Konzern ist sicher der größte deutsche Profiteur der gewaltigen Verkehrsinvestitionen in China. Bis 2010 liefert Siemens 60 Velaro-Hochgeschwindigkeitszüge, eine etwas breitere und schnellere Version des ICE 3, der in Deutschland zum Beispiel zwischen Köln und Frankfurt unterwegs ist. Sie können bis zu 350 Stundenkilometer fahren und werden in einem Gemeinschaftsunternehmen in China gefertigt. Die wichtigen Komponenten wie der Antrieb kommen aber aus Deutschland. 670 Millionen Euro nimmt Siemens dadurch ein. Die ersten fünf Züge sind von August an auf der Strecke zwischen Peking und der Küstenstadt Tianjin im Einsatz. Dafür hat das Unternehmen auch die Signal- und Kommunikationstechnik geliefert. 2007 bestellte China zudem 500 elektrische Frachtlokomotiven im Wert von 334 Millionen Euro. Zudem rüstet Siemens für 30 Millionen Euro die U-Bahn-Linie aus, die zum Pekinger Olympiagelände führt. Schon in der Vergangenheit installierte Siemens für mehrere chinesische U-BahnSysteme die Signal- und Betriebsleittechnik und lieferte Metro-Wagen. Zudem hofft der Konzern auf die Verlängerung der Transrapid-Strecke in Schanghai, für die Siemens die elektronische Ausrüstung liefern würde.
Thyssen-Krupp
Der Konzern ist der andere Partner im Transrapid-Konsortium. Er ist für den Magnetantrieb verantwortlich. Darüber hinaus fahren die Fluggäste im neuen Terminal 3 des Pekinger Flughafens in Aufzügen und auf Fahrtreppen von Thyssen-Krupp. Die wurden auch auf Bahnhöfen installiert. Zudem gehen die Flugpassagiere in Peking und Schanghai über Fluggastbrücken von Thyssen in ihre Maschinen. Das Unternehmen ist weltweit der erste Anbieter für die Fertigung und Einrichtung von Fluggastbrücken für den neuen Riesen-Airbus A380.
Vossloh
Der Bahnzulieferer fertigt die Befestigungsklemmen, mit denen auf zwei Schnellbahnstrecken die Schienen mit den Betonschwellen fest verbunden werden. Sie werden in einem eigenen Werk in China produziert. Der Auftrag hat für die Geschäftssparte Vossloh Fastening eine enorme Bedeutung: Er macht mit einem Volumen von 185 Millionen Euro mehr als 40 Prozent des Umsatzes während der zweijährigen Vertragslaufzeit aus. Im gesamten Konzern sind es immerhin noch rund 7 Prozent.
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