Auftragsabwicklung in der Autoindustrie: „Das Ziel der Supply Chain Visibility ist vielfach noch unerreicht“
Drei Fragen an: Ronald Teijken, Fertigungs- und Logistikspezialist beim Software-Entwickler Sterling Commerce
LOGISTIK inside: Herr Teijken, Ihr Unternehmen hat eine Studie erstellen lassen, die besagt, dass deutsche Unternehmen Probleme bei der Auftragsabwicklung haben. Und ausgerechnet die derzeit krisengeschüttelte Automobilbranche machte eine besonders schlechte Figur?
Teijken: In der Tat. Wir hatten Ende vergangenen Jahres zahlreiche deutsche Großunternehmen in der diskreten Fertigung zum Thema „Fehlerlose Auftragsbearbeitung“ befragt und nun aus aktuellem Anlass die Ergebnisse der Automobilindustrie genauer unter die Lupe genommen. Zwar schnitten einige Branchen noch schlechter ab, doch auch die Automobilindustrie nimmt einen Platz in den hinteren Rängen ein. Fakt ist: Trotz groß angekündigten Null-Fehler-Programmen schaffen es tatsächlich nur 64 Prozent, ihre Aufträge zu mehr als 95 Prozent korrekt auszuführen. Dies geht zu Lasten der Mitarbeiter, die die Aufträge wiederum manuell korrigieren und einen beträchtlichen Teil der täglichen Arbeitsleistung hierfür aufwenden müssen. Auch ist die elektronische Rechnungsstellung noch lange nicht so weit fortgeschritten wie sie eigentlich sein sollte. Gerade einmal jedes zweite Unternehmen gab an, die tägliche Rechnungsflut zu mehr als 90 Prozent auf dem digitalen Weg zu bewältigen. Ein weiteres Problem, das die Branche schon seit einiger Zeit beschäftigt, ist das Thema Supply Chain Visibility: Lediglich die Hälfte der befragten Unternehmen kann die Aufträge inklusive Lagerbestände durchgängig überblicken.
LOGISTIK inside: Worin liegen diese Mängel begründet? Was sind die Ursachen?
Teijken: Der zunehmende Preisdruck geht auch an der Automobilindustrie nicht spurlos vorbei. Produktverlagerungen in Billiglohnländer, Rahmenverträge mit Zulieferern aus Fernost oder Auslagerungen an Drittunternehmen haben über Jahre ein komplexes Supply Chain-Netzwerk geschaffen, das viele kaum noch überblicken können. Hinzu kommen fehlende Investitionen in die Integration neuer Partner und Kunden: Laut Studie betreiben nur 84 Prozent der Automobilunternehmen elektronischen Handel mit rund der Hälfte ihrer Geschäftspartner. Wenn es darum geht, neue Geschäftspartner in den elektronischen Verbund aufzunehmen, bleibt das Interesse eher verhalten. Zu groß ist die Angst vor noch komplexeren Lieferketten, die zusätzliche Fehler in der Auftragsabwicklung nach sich ziehen könnten. Vielfach scheitert E-Business auch an fehlenden Kapazitäten oder mangelndem Know-how. Fast jeder Zweite löst die Partnerintegration mittels Outsourcing, um Kosten zu senken und die betriebliche Leistungsfähigkeit zu steigern.
LOGISTIK inside: Was können Unternehmen der Automobilbranche aus Ihrer Sicht tun, um die Auftragsabwicklung zu verbessern?
Teijken: Natürlich gehören unerwartete Szenarien zum Alltag jedes Unternehmens. Um die Lieferkette im Falle einer Änderung schnell anzupassen, bedarf es deshalb neben einer guten Planung einer flexiblen Abwicklungsstrategie. Viele versuchen das Problem der Komplexität mithilfe von Produktions- und Logistik-Outsourcing in Griff zu bekommen – ein in der Automobilindustrie gängiges Vorgehen. Unternehmen mit niedriger Fertigungstiefe sind jedoch besonders stark darauf angewiesen, Lagerbestände oder Lieferstati nicht nur innerhalb der eigenen vier Wände überblicken zu können, sondern auch alle anderen Standorte und Partner miteinzubeziehen. Dies ruft Systeme auf den Plan, die mit Werkzeugen zur unternehmensübergreifenden Auftrags- und Bestandsverwaltung ausgestattet sind, bestehende Systeme flexibel integrieren und sich auf die jeweils erforderlichen Szenarien umstellen lassen. Nur mit integrierten Systemen, Geschäftsprozessen sowie unternehmensübergreifenden Applikationen lässt sich das vielfach noch unerreichte Ziel Supply Chain Visibility erreichen. So entsteht letztendlich eine starke Partnergemeinschaft mit hohem Reaktionsvermögen, um die Aufträge auch im Krisenfall fehlerfrei zu bewältigen. Das kommt wiederum dem wichtigsten Wert in schwierigen Zeiten zugute: der Kundenzufriedenheit.
LOGISTIK inside: Vielen Dank für das Gespräch.