Inflation
Hilfe, mein Geldbeutel schrumpft
Von Dyrk Scherff
06. Juli 2008 Hätten Sie es gewusst? Die Zitrone macht uns am meisten Sorgen. Ihr Preis steigt unter den Konsumgütern derzeit am schnellsten - um 80 Prozent in einem Jahr. Das vielbeachtete Öl folgt später: Heizöl ist 57 Prozent teurer geworden.
Nahrungsmittel und Energie - sie sorgen derzeit für die rekordhohe Inflation. Im Mai lag sie in
Deutschland bei 3,1 Prozent, im Juni kletterte sie weiter auf 3,3 Prozent, nun ist sie so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr. Üblich waren bisher 1,5 Prozent.
Jeder hat eine andere Rechnung
Das sind freilich Durchschnittswerte, die auf dem Warenkorb der Statistiker für einen durchschnittlichen Konsumenten beruhen. Produkte, für die ein Durchschnittsdeutscher viel Geld ausgibt, gehen stärker in die allgemeine Inflationsrate ein als andere. Die größten Posten sind dabei die Wohnkosten mit etwa 30 Prozent Anteil sowie Lebensmittel, Transport und Freizeit mit jeweils rund 10 Prozent.
Für jeden einzelnen Menschen kann die Rechnung allerdings ganz anders aussehen. Denn abhängig von seinem Einkommen, seinem Alter und seinen persönlichen Vorlieben sind die Ausgaben anders gewichtet. So haben natürlich die Transportkosten einen deutlich größeren Anteil an den Ausgaben eines Pendlers, Rentner geben mehr für Kultur, Reisen und Gesundheit aus, Geringverdiener weniger für Freizeit, dafür ist der Anteil der Nahrungsmittel größer. Und der Student hat einen hohen Anteil an Telekommunikationskosten, geht öfter als andere in die Kneipe, hat dafür aber häufig kein Auto zu finanzieren.
Besonders getroffen hat es die Pendler
Je nachdem, wie jeder einzelne lebt, wirkt die aktuelle Preissteigerung daher sehr unterschiedlich. Besonders stark getroffen werden die Pendler, wie eine Beispielrechnung dieser Zeitung zeigt. Die Pendlerin mit 1600 Euro Ausgaben muss eine persönliche Inflation von 3,6 Prozent hinnehmen - ihre Kosten sind heute 57 Euro höher als vor einem Jahr.
Der vielreisende Rentner mit monatlichen Ausgaben von 2000 Euro zahlt demnach 59 Euro (3 Prozent) mehr als 2007, der Gesundheitsbewusste mit 3000 Euro Ausgaben 78 Euro (2,6 Prozent) mehr. Basis der Berechnungen sind Ausgabenprofile, die das Statistische Bundesamt in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ermittelt hat. Sie wurden an die unterschiedlichen Lebensstile angepasst.
Es profitieren die Gutverdiener
Besonders betroffen sind die Pendler, wenn sie auch noch wenig verdienen. Dann geben sie nicht nur viel für den Sprit aus, sondern auch für Lebensmittel. Beides ist viel teurer geworden. Allein der Kraftstoffpreis ist innerhalb eines Jahres um 12 Prozent gestiegen, vor allem weil die Schwellenländer viel Öl verbrauchen und darum das Öl teurer wird. Auch die Preise für Nahrung sind um 6 Prozent gestiegen, wobei das vor allem auf höhere Energiepreise und weniger auf die teuren Feldfrüchte zurückzuführen ist. Strom und Gas kosten 13 Prozent mehr. Entlastung kommt dagegen wie seit Jahren von Elektronikartikeln wie Notebooks, Fernsehern oder Handys, außerdem von Lebensmitteln wie Zwiebeln und Nüssen, die alle um mehr als zehn Prozent billiger wurden.
Davon profitieren eher die Gutverdiener. Sie leiden dafür aber - wie die Pendler - besonders unter den hohen Energiepreisen, weil sie in der Regel mehr Geld fürs Auto ausgeben als die Armen. In der Summe gleichen sich die Folgen der Inflation für die verschiedenen Gehälter an. "Wenn auch die Haushalte mit niedrigem Einkommen im laufenden Jahr etwas stärker von der Teuerung betroffen sind, sind die Inflationsdifferenzen zwischen den Einkommensklassen vernachlässigbar", stellt Christian Dreger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin fest.
Wahrgenommene Inflation liegt bei 12 Prozent
Die Deutschen schätzen den Preisanstieg sogar größer ein, als die Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen. Die wahrgenommene Inflationsrate, die der Statistiker Hans Wolfgang Brachinger von der Universität Fribourg ausrechnet, liegt derzeit bei rund 12 Prozent. Denn mit Benzin und den Lebensmitteln sind ausgerechnet die zwei Produktgruppen am stärksten gestiegen, die jeder für den täglichen Bedarf benötigt und die bei jedem Einkauf an der Kasse derzeit besonders erschrecken.
Ein Blick in die deutsche Vergangenheit zeigt aber, dass es schon einmal schlimmer war. In den siebziger Jahren während der Ölkrisen lag die amtliche Inflationsrate schon einmal auf sieben Prozent im Jahr. Zudem war die Kaufkraft früher schwächer. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln musste ein Angestellter 1960 zum Beispiel 15 Minuten arbeiten, um sich einen halben Liter Bier leisten zu können. Heute sind es trotz Vervierfachung des Preises nur noch drei Minuten. Grund ist, dass seitdem die Löhne gestiegen sind und die Menschen weniger arbeiten müssen.
Erst 2009 Besserung in Sicht
Der Blick in die Zukunft fällt aber nicht so rosig aus. Die Märkte signalisieren für den Euroraum für 2008 eine Inflationsrate von 2,6 Prozent. Das ist zwar weniger als jetzt, aber immer noch ein hohes Niveau im Vergleich zur Vergangenheit. Viel wird von der Entwicklung des Ölpreises abhängen, der bedeutsamer für die Preissteigerung ist als die Lebensmittel. Hierfür gehen einige Analysten von einem Ende des Anstiegs im zweiten Halbjahr aus, wenn sich die Wirtschaft abkühlt. Langfristig wird er aber hoch bleiben und damit weiter für Druck auf die Preise sorgen. "Erst 2009 dürfte die Inflation wieder unter zwei Prozent fallen. Die niedrige Preissteigerung der vergangenen zehn bis 15 Jahre wird es aber nicht geben", erwartet DIW-Fachmann Dreger.
Text: F.A.S.
Bildmaterial: dpa, F.A.Z., Statistisches Bundesamt
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