Thursday, November 13, 2008

Energieagentur erwartet Ölpreis von 200 Dollar

Energieagentur erwartet Ölpreis von 200 Dollar

Von Ulrich Friese, Gerald Braunberger und Arnd Hildebrand

13. November 2008 Die entspannte Lage am internationalen Markt für Rohölpreise täuscht: „Die Phase des billigen Öls ist endgültig vorbei“, heißt es im aktuellen Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA). Sagte die renommierte Organisation der 30 größten Industrienationen bislang noch einen durchschnittlichen Preis für Rohöl von 108 Dollar je Barrel (159 Liter) bis zum Jahr 2030 voraus, sollen es nun bis dahin mindestens 200 Dollar je Barrel sein.

Die deutliche Korrektur der IEA-Prognose begründete Chefökonom Fatih Birol mit dem steigenden Energiehunger in Asien. So werde allein auf China und Indien in den nächsten 20 Jahren mehr als die Hälfte des weltweiten Wachstums bei Primärenergien entfallen. Um den stark steigenden Bedarf zu decken, seien auch weiterhin hohe Investitionen in die Infrastruktur wie Raffinerien oder Pipelines erforderlich.

Bedeutung staatlicher Ölkonzerne wird zunehmen

Bei den größten Öl- und Gasproduzenten der Welt haben sich die Investitionen in die Förderung zwischen 2000 und 2007 auf 390 Milliarden Dollar verdreifacht. Dieses Volumen muss nach der IEA bis 2012 auf 600 Milliarden Dollar steigen. Doch viele staatliche und private Produzenten zögern, weil sich die meisten Großvorhaben bei einem niedrigen Ölpreis nicht rechnen. Birol schlägt deshalb Alarm: „Wenn viele Investitionsvorhaben jetzt verschoben oder gar gestrichen werden, ist ab 2030 mit Engpässen bei der Energieversorgung zu rechnen.“

Erschwerend kommt aus Sicht der IEA hinzu, dass die Bedeutung der staatlich geführten Ölkonzerne wachsen wird. Damit bestimmen immer mehr die politischen Interessen der Förderländer, ob sich die Investitionen in die Infrastruktur oder neue Energievorkommen rechnen. Gegenwärtig decken westliche Produzenten wie Exxon Mobil, Shell oder BP nur 15 Prozent der Förderung an Öl und Gas ab. Der Rest entfällt auf Staatskonzerne in Saudi-Arabien, Russland oder China.

Benzin günstiger als Rohöl

Aktuell sinkt der Preis für Rohöl weiter. Ein Ende der Baisse ist nicht abzusehen, wenngleich auffällt, dass die Dynamik der Abwärtsbewegung nachlässt. In New York hat die auf Termin gehandelte Ölsorte West Texas Intermediate (WTI) die als psychologisch bedeutsam geltende Marke von 60 Dollar je Barrel unterschritten. Am Mittwoch notierte WTI mit rund 56 Dollar und damit auf dem niedrigsten Niveau seit Anfang 2007.

Nach den Angaben des ADAC sind die Preise für Kraftstoffe zu Wochenbeginn auf ein neues Jahrestief gefallen. Ein Liter Superbenzin kostete mit durchschnittlich 1,23 Euro knapp 5 Cent weniger als in der Vorwoche. Der Preis für einen Liter Diesel ermäßigte sich um fast 3 Cent auf ebenfalls 1,23 Euro. „Am Weltmarkt kostet ein Liter Benzin heute manchmal weniger als ein Liter Rohöl“, sagt Klaus Picard, Hauptgeschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbands. Picard erklärt dies mit einem Nachfragerückgang nach Benzin in Europa. Alleine in Deutschland ist der Benzinverbrauch in den vergangenen fünf Jahren um 20 Prozent zurückgegangen.

Hausse am Ölmarkt vorerst beendet

Dagegen ist die Nachfrage nach Diesel im gleichen Zeitraum um 4 Prozent gestiegen. „Daher kostet ein Liter Diesel an der Tankstelle heute trotz des Steuervorteils manchmal sogar etwas mehr als ein Liter Superbenzin“, erläutert Picard. Wegen der Nachfrageverschiebungen importiert Europa mittlerweile 28 Millionen Tonnen Diesel und Dieselvorprodukte aus Russland im Jahr, während jährlich 32 Millionen Tonnen Benzin in die Vereinigten Staaten exportiert werden. Picard bestreitet die Behauptung, dass die Veränderungen der Rohölpreise von den Tankstellen nicht voll weitergegeben würden.

Technische Analysten sehen die Hausse am Ölmarkt vorerst als beendet an. So gelangt Barclays Capital angesichts des rapiden Verfalls des Ölpreises zu dem Schluss, dass der Haussezyklus von 2007/08, der Teil eines langjährigen Zyklus steigender Preise sei, ausgelaufen ist. Die Notierungen könnten zunächst auf die Marke von 50 Dollar fallen, bevor eine größere Erholung zu erwarten sei.

Die Nachfrage sinkt

Merrill Lynch bleibt bei der Auffassung, dass selbst ein Rückgang in den Bereich von 50 Dollar die langjährige Hausse nicht in Frage stellen würde, obgleich die mittelfristige Tendenz nun eindeutig nach unten weise. Diese Investmentbank weist darauf hin, dass die jüngsten amtlichen Zahlen über die Aufteilung der offenen Terminengagements in New York eine weitere Zunahme der Netto-Baisse-Positionen auf Seiten der großen spekulativen Marktteilnehmer (Hedge-Fonds) auswiesen. Diese Engagements hätten aber noch keine Extremwerte erreicht, die auf massive technische Auftriebskräfte schließen ließen.

Die Nachfrage nach Rohöl und Nachprodukten sinkt nach Darstellung von Fachleuten inzwischen in allen bedeutenden Verbraucherregionen messbar. Wegen des zum Teil erheblichen zeitlichen Nachlaufs der Daten aus den einzelnen Ländern könne nun rückblickend festgestellt werden, dass diese Tendenz bereits vor einigen Monaten entstanden sei. Ursache dafür ist die immer schwächer werdende Weltkonjunktur. Die Experten sehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Entwicklung in absehbarer Zeit zum Stillstand kommen oder sich sogar ins Gegenteil verkehren könnte.

Benzinmarkt aus dem Gleichgewicht gekommen

Die vorlaufenden Konjunkturindikatoren kündigten vielmehr an, dass sich die Schwäche bis weit ins nächste Jahr hinein fortsetzen werde. Dabei wird hervorgehoben, dass nun auch die chinesische Wirtschaft Anzeichen bedrohlicher Schwäche erkennen lasse und dass daher auch die Nachfrage in diesem Land nach Öl und Ölprodukten spürbar sinken werde.

In der Gesamtbetrachtung wird unterstrichen, dass der Benzinmarkt allem Anschein nach aus dem Gleichgewicht gekommen ist. Grund dafür sei vor allem in Amerika das Zusammentreffen deutlich rückläufiger Nachfrage mit zu hoher Produktion. Da die Raffinerien bei der Benzingewinnung mit Verlusten arbeiteten und sie diese bei der Herstellung anderer Nachprodukte kaum noch auffangen könnten, dürften sie ihre Ölverarbeitung bald einschränken. Dies wiederum würde die Nachfrage nach Rohöl zunächst sinken lassen und den Preisdruck an diesem Markt noch verstärken.

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: MWV; Th. F. Datastream