Sunday, December 07, 2008

RFID: Was heute schon geht - und was nicht funktioniert

RFID: Was heute schon geht - und was nicht funktioniert

Die erste Aufregung um RFID ist vorbei, der Alltag hält Einzug. Aber noch experimentieren viele Firmen mit der Technologie. ZDNet stellt Projekte vor und erklärt, warum sie zum Erfolg geführt haben oder warum sie gescheitert sind.

Von Peter Marwan, 1. Dezember 2008 

Bald kann man es schon nicht mehr hören: Wird von RFID gesprochen, fällt nahezu automatisch auch der Name der Metro Group. Klar, das Handelsunternehmen ist mit seiner Marktmacht einer der wichtigen treibenden Kräfte im deutschen Groß- und Einzelhandel, und viele Lieferanten müssen sich nach seinen Anforderungen richten. Aber es muss doch auch andere Anwendungsgebiete als Europaletten, Obstkörbchen und Fleischverpackungen geben.

nd es gibt sie - aber ihnen wird noch zu wenig Aufmerksamkeit zuteil. ZDNet hat sie aufgespürt und ist den Fragen nachgegangen, ob und wie sich RFID in unterschiedlichen Branchen und Szenarien heute schon wirtschaftlich einsetzen lässt.

Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie hat bereits im Frühjahr eine Studie zu dieser Fragestellung durchgeführt. Deren Ergebnis in einem Satz: Das Potenzial von RFID ist in deutschen Unternehmen noch weitgehend ungenutzt. Die Gründe dafür sahen die Fraunhofer-Experten in der mangelnden Konsequenz bei RFID-Einführungen sowie in technischen Schwierigkeiten.

Befragt wurden rund 100 Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Branchen. Etwa 80 Prozent davon bezeichneten ihre Erfahrungen mit RFID als negativ. Fazit: "Es wird offensichtlich viel Geld in Pilotprojekte investiert, doch diese bringen dann nicht den erhofften Nutzen."

Wirtschaftlichkeitsprüfung ist ausschlaggebend für den Erfolg

Woran kann die häufig festgestellte Unrentabilität liegen? Auch darauf liefert die Studie ein Antwort: Fast ein Viertel der Unternehmen hat sich für RFID entscheiden, ohne vorher systematisch die Wirtschaftlichkeit zu prüfen. Da verwundert es kaum, dass gerade diejenigen, die RFID aus wirtschaftlichen Gründen eingeführt haben, ihre Ziele oft nicht erreichten. Und obwohl fast drei Viertel der Befragten Prozessoptimierung als das vorrangige Ziel der RFID-Einführung nannten, waren Fachabteilungen nur selten am Projekt beteiligt.

Auch das in Stuttgart ansässige International Performance Research Institute (IPRI) hat bereits vor einigen Monaten als Fazit einer eigenen Untersuchung festgestellt, dass "eine Entscheidung über die Anwendung von RFID, die sich ausschließlich an der technischen Machbarkeit orientiert, zu kurz greifen würde. Vielmehr muss die Adaption einer neuen Technologie als strategische Entscheidung interpretiert werden, die an ökonomischen Maßstäben auszurichten ist."

Inzwischen haben sowohl das IPRI als auch das Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) an der RWTH Aachen jeweils mehrere Firmen intensiv bei deren RFID-Gehversuchen begleitet - mit interessanten Detailergebnissen, was Erfolgsfaktoren und Wirtschaftlichkeitsberechnungen anbelangt.

Lohnt sich RFID als Barcode-Ersatz?

Gemeinsam mit IPRI untersuchte der Verpackungshersteller Bischof + Klein aus dem nordrhein-westfälischen Lengerich, ob sich die Ablösung der bereits seit langem etablierten Barcode-Lösung im Wareneingang durch RFID wirtschaftliche Vorteile bringen würde. Außerdem sollte festgestellt werden, ob sich die Rückverfolgbarkeit der optisch kaum zu unterscheidenden Rollen und Folien im und nach dem Produktionsprozess dadurch so verbessern lässt, dass es sich für das Unternehmen lohnen würde.

Mögliches Einsparpotenzial durch RFID sah man bei Bischof + Klein durch einen reduzierten Aufwand beim Etikettieren im Wareneingang, möglicherweise geringeren Kosten für Etiketten und der Automatisierung der bislang manuell erledigten Buchungen. Die mit RFID mögliche automatische Identifikation der Rollen mit Kunststofffolie könnte zudem die Zuordnung zu Produktionsaufträgen und die Rückverfolgbarkeit erleichtern, was insbesondere bei Aufträgen für Kunden, die Hygieneprodukte oder Nahrungs- und Genussmittel verpacken, bedeutsam wäre.

Bei dem Versuch galt es, auch technische Hürden zu überwinden: Viele der verarbeiteten Folien sind aluminiumbeschichtet, und viele der Hülsen, auf denen die Folien aufgewickelt sind, müssen wegen des Gewichts aus Stahl sein. Beides beeinträchtigt das Funktionieren von RFID. Außerdem kann das bisher verwendete Barcode-System nicht aufgegeben werden, denn bei Defekten eines RFID-Tags hätte Bischof + Klein in der laufenden Produktion meist keine Möglichkeit, das halbfertige Produkt zu identifizieren.

Nach Abwägung aller Kosten- und Einsparungspotenziale kam das Unternehmen zu dem Schluss, dass "unter den gegebenen Umständen eine Investition in RFID nicht sinnvoll erscheint". Das Projekt sieht man dennoch nicht als Fehlschlag, existiert doch nun eine fundierte Begründung gegen den RFID-Einsatz. Ähnliche Erfahrungen gibt es übrigens auch in anderen Bereichen, in denen gut durchorganisierte Prozesse auf Barcode-Grundlage fest etabliert sind.

Auch beim Aachener FIR hat man diese Erfahrung gemacht: "Wenn sich der RFID-Einsatz lohnt, dann selten als Barcode-Ersatz. Der Nutzen von RFID kommt in den meisten Fällen erst durch eine Reorganisation der Abläufe und einen höheren Automatisierungsgrad zum Tragen", erklärt Institutsmitarbeiter Daniel Dünnebacke. Und Insider berichten, dass trotz großer Bemühungen von Herstellern und Dienstleistern die Umstellung des Gepäckhandlings an Flughäfen von Barcode auf RFID derzeit nicht wirtschaftlich durchführbar sei.

ohnt sich RFID beim Warenausgang?

Mit dem Stuttgarter Automobilzulieferer Behr untersuchte IPRI, ob sich die Einfach-Verwendung von RFID-Tags im Warenausgang wirtschaftlich einführen lässt. Behr liefert Fahrzeugklimatisierung und Motorkühlung an Pkw- und Nutzfahrzeughersteller. Die Schwaben beschäftigen weltweit rund 20.000 Mitarbeiter an 17 Entwicklungsstandorten in 28 Produktionswerken sowie 12 Beteiligungsgesellschaften und erwirtschafteten im Geschäftsjahr 2007 rund 3,4 Milliarden Euro Umsatz.

Durchgeführt wurde der RFID-Test im Werk Neustadt, in dem täglich rund 5500 Klimaanlagen montiert und 60.000 Kunststoffteile gefertigt werden. Auch hier werden bereits Barcodes zur Identifikation eingesetzt. Das manuelle Scannen am Ende der Produktion und vor der Verladung am Warenausgang ist jedoch sehr zeitaufwändig. Mögliche Vorteile von RFID wären kürzere Scanzeiten, bessere Rückverfolgbarkeit und eine reduzierte Fehlerquote beim Versand.

Technische Probleme gäbe es bei der Lösung keine, die in speziellen Transportbehältern jeweils zu mehreren eingepackten Klimaanlagen ließen sich beim Durchfahren einer Scan-Einrichtung zu 100 Prozent korrekt erfassen. Die Zeit zur Beantwortung von Kundenrückfragen reduzierte sich dadurch um eine Stunde, die Prüfzeit um fünf Stunden pro Woche.

Dennoch verzichtet Behr auf den RFID-Einsatz, da die Kosten letztendlich die erzielbaren Einsparungen übersteigen würden. Der Grund: Die geeigneten, einmal verwendbaren RFID-Tags kosten derzeit in den von Behr benötigten Mengen (circa 1,375 Millionen pro Jahr) immer noch rund 9 Cent pro Stück. Unterm Strich wäre dadurch die RFID-Lösung jährlich rund 50.000 Euro teurer als die derzeitige Barcode-Lösung. Auch hier lautet das Fazit also: Die wirtschaftliche Ablösung eines funktionierenden Barcode-basierenden Prozesses schafft RFID nicht.

Bestätigt werden diese Ergebnisse durch eine vergleichbare Evaluierung des FIR bei der Dalli Group, einem Markenhersteller von Handelsmarken (Körperpflegeprodukte sowie Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel). Dort wurde im Warenausgang ebenfalls darüber nachgedacht, manuelle Tätigkeiten und die Fehlerquote durch RFID zu minimieren.

Die Produkte werden mit zahlreichen unterschiedlichen Verpackungsversionen in über 30 Länder versandt. Falsch versandte Ware müsste teuer zurückgeholt werden. Untersucht wurde, ob sich RFID bereits in der Produktion zur Separierung der Länderversionen eignet.

Aber auch hier zeigte eine genaue Analyse, dass das anfänglich vermutete Potenzial mit einer RFID-Lösung nicht erreichbar ist. In diesem Fall trug jedoch während der Planungsphase die allgemeine Verbesserung von Arbeitsabläufen bereits so weit zur Fehlerreduzierung bei, dass das kleine verbleibende Fehlerrisiko die notwendigen Investitionen nicht mehr rechtfertigte.

Lohnt sich RFID in der Produktionssteuerung?

Einen in der Öffentlichkeit bisher wesentlich weniger diskutierten, deswegen aber nicht uninteressanteren Einsatzzweck für RFID erprobte Hansgrohe. Bei dem Armaturenhersteller und Badausstatter erfolgt die Produktionssteuerung durch Kanban-Karten: Ist eine Teilebox in der Endmontage leer, wurde die zugehörige Karte bisher in eine Art Briefkasten geworfen, den ein Mitarbeiter täglich einmal geleert und zum Produktionswerk gebracht hat.

Im Projekt wurden zwar die Kanban-Karten beibehalten, aber mit RFID-Tags bestückt. Wegen der Menge der zu speichernden Informationen und dem Einsatzszenario wurden UHF-Tags (868 MHz) ausgewählt. Bei der internen Verwendung stört nicht, dass diese Tag-Klasse nicht weltweit einheitlich standardisiert ist. Die Tags kosten in der von Hansgrohe benötigten Menge (rund 4000) etwa 15 Cent pro Stück. Als Middleware verwendet der Hersteller die Auto ID Infrastructure von SAP.

Die Einsparungen entstehen einerseits durch das automatisierte Einlesen der Karten. Die bisher damit beschäftigte Person kann anderweitig eingesetzt werden. Andererseits befindet sich Hansgrohe aber auch in der glücklichen Situation, das der Hersteller einen Auftragsstau hat: Auf jedes zusätzlich produzierte Teil wartet schon ein Abnehmer, schnellere Produktion bedeutet daher auch mehr Umsatz und Gewinn. Indem die Karteninformation nun bereits beim Einwurf in den Briefkasten vom RFID-Tag ausgelesen wird, erhält die Produktion die notwendigen Informationen früher: Die Steuerung der Produktion wurde effektiver.

Dieser Aspekt gab letztlich den Ausschlag dafür, dass sich der RFID-Einsatz bei Hansgrohe trotz der vergleichsweise hohen Anschaffungskosten über drei Jahre gerechnet lohnt. Als zweiten Erfolgsfaktor machen die Verantwortlichen den Einsatz in einem geschlossenen Kreislauf aus: Dadurch müssen die RFID-Chips nur einmal angeschafft werden, und im genutzten Szenario ist zudem relativ wenig Hardware zum Einlesen notwendig. Die Fehlerquote ist vernachlässigbar: Seit dem Start im März traten lediglich an vier Tags Defekte auf - an einem davon, weil eine Gitterbox darauf abgestellt wurde.

Auch hier bestätigen die Aachener Untersuchungen die Ergebnisse der Stuttgarter Kollegen: Der Einsatz in einem geschlossenen Kreislauf - entweder firmenintern oder in einem Partnernetzwerk - würde nach ihren Berechnungen auch bei zwei ihrer Pilotpartner wesentlich zum RFID-Erfolg beitragen. Der Lebensmittelhersteller Zentis möchte die Technologie zur Verwaltung von etwa 15.000 großen Metallbehältern nutzen, die sowohl im Unternehmen als auch bei Partnern unterwegs sind. Das Universitätsklinikum Aachen will mit RFID die Verwaltung der Betten effizienter gestalten - also ebenfalls einen internen Prozess.

Fazit: Erfolgschancen des RFID-Einsatzes abschätzen

Neben dem nahezu klassischen Einsatz in der Logistik, etwa dem Behälter-, Waren- und Bestandsmanagement reicht das Einsatzspektrum von RFID aber wesentlich weiter. Denkbar sind auch Asset Management, Diebstahlschutz, Ersatzteil-Identifikation oder Zeiterfassung.

Der Einsatz wird aber nach Ansicht vieler Experten nach wie vor von den Anbietern von RFID-Lösungen forciert. Sie wollen natürlich ihre Produkte verkaufen und orientieren sich an deren technischen Möglichkeiten. Potenzielle Kunden sehen aber vor allem hohe Kosten und ungewisse Vorteile, nicht zuletzt, da oft unklar ist, wie sich Kosten und Nutzen in dem komplizierten Geflecht, in dem RFID-Projekte stattfinden, gegeneinander abwägen lassen.

Sowohl das Aachener Forschungsinstitut für Rationalisierung als auch das Stuttgarter IPRI haben mit Pilotpartnern diesbezüglich Fortschritte erzielt. Ein Ergebnis aus Stuttgart ist eine Bewertungsmatrix, die eine erste grobe Abschätzung erlaubt, ob sich eine intensivere Beschäftigung mit RFID lohnt. Das zweite ist die Website RFIDiki, auf der neben Wissen rund um RFID auch Fallstudien gesammelt werden, die demselben Ziel dienen.

In Aachen wurde mehr Wert auf die Entwicklung einer praxisnahe Methodik zur detaillierten Planung und monetären Bewertung von Kosten und Nutzen von RFID-Lösungen gelegt. Auf Anfrage stellen die Institutsmitarbeiter diese Methodik Unternehmen gerne in einem kurzen Workshop vor. Im Anschluss kann bei Interesse der konkrete Anwendungsfall von RFID im Unternehmen analysiert und die spezifischen Kosten un der zu erwartenden Nutzen ermittelt werden. Aufgrund der praxisnahen Methodik ist dieses Vorgehen gerade auch für mittelständische Firmen interessant.

Zudem wird das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik am 11. Dezember eine weitere Studie mit ähnlicher Zielrichtung wie die Untersuchungen von IPRI und FRI vorstellen. Ihr Fokus liegt jedoch auf Einsatzmöglichkeiten in der Produktionssteuerung. Damit wird ein wichtiges Problem der Anwender allmählich behoben: Dass zu wenig aussagekräftige und gut dokumentierte Vergleichsprojekte existieren.