Erst Doktor, dann Vorstand
Von Jochen Blind
Pro Jahr beenden rund 25.000 Akademiker in Deutschland ihre Doktorarbeit, zwei Drittel der Vorstände von Dax-Unternehmen sind promoviert. Doch der Weg zum Titel ist alles andere als ein Spaziergang. Was für eine erfolgreiche Promotion wichtig ist, wie man sie klug plant, welche Fallstricke und Sackgassen lauern - ein Überblick.
Hamburg - "Und, wie läuft's mit der Diss?" Wer seine Doktorarbeit schreibt, kennt diese Frage. Oft schwingt ein leiser Vorwurf mit: "Bist du immer noch nicht fertig?" Denn ein Klischee hält sich hartnäckig: der Doktorand als ewiger Student, der sich vor dem rauen Arbeitsleben drücken möchte - und darum noch vier, fünf Jahre lang herumpromoviert. Doch mit diesem Klischee ist es nicht weit her.
Es gibt viele Gründe, eine Dissertation zu schreiben. Trennscharfe "Promotionstypen" lassen sich kaum festmachen. Da sind die Idealisten, die für ihr Thema brennen und es umfassend erforschen wollen - zur Not auch als Hobby neben der Arbeit. Da sind die künftigen Wissenschaftler. Sie wissen genau, dass eine Uni-Karriere ohne Promotion schlicht unmöglich ist. Und es gibt Pragmatiker, die mit dem schmucken Titel den Karriereturbo in einem großen Unternehmen zünden möchten.
Bei den meisten Doktoranden kommen wohl mehrere Gründe zusammen. Bundesweit rund 25.000 schließen jedes Jahr ihre Arbeit ab. "Damit liegt Deutschland international weit vorn", weiß Marcus Müller, Vorsitzender des Promovierenden-Netzwerks Thesis. Dieses Niveau sei seit Jahren sehr stabil, allerdings mit Veränderungen in den Disziplinen: "Die Zahl der Promotionen in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ist in den letzten 20 Jahren kontinuierlich gestiegen", etwas weniger stark auch in den Ingenieur- sowie den Sprach- und Kulturwissenschaften. Das gilt jedoch nur für abgelegte Prüfungen, "die abgebrochenen Vorhaben sind schwer zu erheben".
Doktoranden brauchen einen starken Motor
"Vor einigen Jahren gab es einen Drang zur Parkplatzdissertation", sagt Hans Groffebert vom Hochschulteam der Frankfurter Arbeitsagentur. Wegen mieser Berufsperspektiven hätten sich viele Absolventen in eine Promotion gestürzt, momentan sei das wieder anders.
Wer mit einer Dissertation anfängt, sollte zuvor genau seine Gründe prüfen. Reine Titelsucht reicht nicht. "Man braucht eine intrinsische Motivation", sagt Groffebert. "Welchen Vorteil bringt der Doktortitel? Gibt es auch andere Möglichkeiten, etwa ein Zweitstudium?" Solche Fragen müsse man "ganz nüchtern" klären.
Und dann gilt es, ein Thema zu finden - eines, das "einen über einen längeren Zeitraum interessiert und außerdem Relevanz hat", so der Experte von der Arbeitsagentur. Dafür sei eine Kenntnis des aktuellen Wissensstands unerlässlich. Zudem sollte das Thema überschaubar sein, "man will ja kein vorweggenommenes Lebenswerk schreiben", so Groffebert - es kann auch das ausgebaute Thema der Examensarbeit sein.
2. Teil: Zu alt für Unternehmen?
Auch die Altersfrage spielt eine Rolle, denn "eine Promotion dauert im Schnitt immerhin vier Jahre. "Da besteht die Gefahr, dass man in eine Konkurrenzsituation mit anderen kommt, die schon viel berufliche Erfahrung haben", warnt Groffebert. Daher sei es wichtig, Studium und Promotion zügig durchzuziehen.
Den Arbeitsmarkt dürfe niemand aus den Augen verlieren, betont auch Thomas Fritz, Leiter der Recruiting-Abteilung bei der Unternehmensberatung McKinsey: "Doktoranden sollten die Promotionszeit nutzen, um sich über das Fachliche hinaus weiterzuentwickeln, ob als wissenschaftlicher Mitarbeiter, durch Forschungskooperationen mit Unternehmen, Praktika oder Auslandsaufenthalte." Dann entstehe kein Nachteil gegenüber Jüngeren.
Wichtig ist vor allem ein vertrauensvolles Verhältnis zu Doktorvater oder -mutter. "Etwa zwei Drittel der Doktoranden sind unzufrieden mit ihrer Betreuung", so der Thesis-Vorsitzende Müller. Oft hätten Betreuer wenig Zeit, würden sich auf Besprechungen schlecht vorbereiten oder sich im Promotionsgebiet kaum auskennen. Weil die "Promotion oft ein Ein-Personen-Projekt ist", helfe auch der Austausch mit anderen Doktoranden, die Teilnahme an Tagungen und Kolloquien.
Mit dem Einkommen auskommen
Für die Finanzierung gibt es viele Möglichkeiten. Arbeiten Doktoranden zugleich an der Uni, sind sie mittendrin im akademischen Betrieb und haben eine gewisse finanzielle Sicherheit. Doch wegen vieler Verpflichtungen kann das eigene Projekt zu kurz kommen.
Andere Doktoranden arbeiten berufsbegleitend an der Dissertation. McKinsey etwa bietet ein dreijähriges Fellowship-Programm, in dem Mitarbeiter eine Promotion oder einen MBA machen können - bei voller Bezahlung. "So sprechen wir Absolventen an, die sich nicht zwischen wissenschaftlicher Weiterbildung und Berufseinstieg entscheiden möchten", erklärt Fritz.Viele Doktoranden bewerben sich für Stipendien, um sich zwei oder drei Jahre voll auf ihr Vorhaben konzentrieren zu können. "Die Chancen sind gestiegen", auch dank der Exzellenzinitiative, so Groffebert. Die elf großen Begabtenförderungswerke vergeben ebenfalls Promotionsstipendien. "Die Bewerberzahlen sind in den letzten Jahren konstant hoch geblieben", wie auch die Qualität, so Katrin Dapp von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Auch Daniela Tandecki, Leiterin der Graduiertenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung, sagt: "Die Bewerber sehen die Promotion als wichtigen Abschnitt ihrer akademischen und persönlichen Entwicklung und ihres Karriereplans."
3. Teil: Pluspunkte für die Karriere
Ein "Dauerbrenner", so Müller, sei eine gewisse Tarifwillkür der gesetzlichen Krankenversicherungen. "Es gibt starke Unterschiede, welche Bemessungsgrundlage genommen wird und welche Tarifarten angewendet werden", erklärt Maria Elisabeth Rotter von der Promovierenden-Initiative, in der Stipendiaten aller elf Begabtenförderungswerke vereint sind.
Punktet man mit dem Doktortitel für die Karriere? "Etwa zwei Drittel der Vorstände von Dax-Firmen sind promoviert", sagt Meuser. Für den Arbeitsmarktexperten Groffebert zählt der Titel nicht allein: "Vor allem die Soft Skills hinter einer Dissertation sind für Arbeitgeber interessant - Methodenkompetenz, Recherchefähigkeit, sprachlicher Ausdruck, Neugier auf Unbekanntes und ein langer Atem."
Thomas Fritz von McKinsey teilt die Einschätzung: "Eine Promotion ist ein positiver Indikator für die Leistungsbereitschaft, denn sie erfordert viele der Eigenschaften, die auch eine erfolgreiche Karriere ausmachen." Ein Bewerber habe damit die Fähigkeit bewiesen, größere Projekte in eigenständiger Arbeit erfolgreich zum Abschluss zu bringen.