Monday, September 22, 2008

Simulationen – Siemens Airport Center

Pictures of the Future

Simulationen – Siemens Airport Center

Showtime für einen Flughafen

Systemlösungen für Flughäfen vorzuführen, ist schwierig. Denn die Kunden können nicht durch reale Passkontrollen, Gepäckanlagen oder über Rollfelder laufen und den Flugbetrieb stören. Mit dem Siemens Airport Center gibt es nun eine weltweit einzigartige Anlage zur Planung, Erprobung und Weiterentwicklung dieser Systeme – ein Simulationszentrum für Flughäfen.

Hinter den Kulissen

Hinter den Kulissen eines Flughafens: Im Siemens Airport Center testen Besucher Innovationen wie den 3D-Gesichtsscanner, das Parkleitsystem sowie das Gepäckfördersystem, mal im Operation Center, mal als reale Anlage (von links oben nach rechts unten)

In einem unscheinbaren Gebäudekomplex an der Landstraße bei Fürth/Bislohe befindet sich der ungewöhnlichste Flughafen der Welt. Der Passagier, der hier eincheckt, wird mit ausgeklügelten biometrischen Verfahren identifiziert, seine Bordkarte ist eine SMS und die modernste Gepäckförderanlage Deutschlands transportiert seine Koffer. Aber wohin? Es gibt hier keine Flugzeuge, keine Landebahn, keinen Tower.

Das Siemens Airport Center (SAC) ist eine Simulations- und Trainingsanlage für die komplette technologische Infrastruktur eines Flughafens, wie es sie nirgendwo sonst gibt. Hier kann man Gepäckförderanlagen, Parkleitsysteme oder Andocksysteme für einen Flughafen in der Größe von London Heathrow betreiben. In nur acht Monaten Bauzeit hat Siemens das SAC errichtet und Ende 2005 eröffnet.

Darauf scheinen viele Kunden nur gewartet zu haben. "Die Zahl der Besucheranfragen ist enorm", sagt Helmut Pawlischek, Leiter des SAC. Die meisten wollen sehen, wie sich aus dem optimalen Zusammenspiel verschiedenster Systeme Zeit und Geld sparen lässt. Andere interessieren sich für neue Technologien, etwa das mobile Einchecken: Vielflieger können sich ein kleines Programm auf ihr Handy laden, mit dem sie bereits auf dem Weg zum Flughafen einchecken können. Die Fluggesellschaft schickt die Bordkarte als Barcode in Form einer SMS. Am Gate legt der Passagier sein Handy auf ein Lesegerät. Dann wird seine Bordkarte entweder ausgedruckt oder er identifiziert sich über seine zuvor gespeicherten biometrischen Daten und erhält völlig papierlos Zutritt zum Flugzeug. In Großraumflugzeuge wie den A380 von Airbus werden bis zu 800 Passagiere einsteigen – daher tüfteln Experten unter Hochdruck an schnellen Abfertigungssystemen.

Für Flughäfen – oft neue Projekte im asiatischen Raum – erwartet die Boston Consulting Group bis 2015 weltweit Investitionen in Höhe von 200 Mrd. $. "Aber auch viele bestehende Flughäfen in den USA und in Europa wollen modernisieren ", erklärt Pawlischek. Sie alle setzen auf integrierte Lösungen, also ineinander greifende Systeme. Hier ist Siemens Weltmarktführer. "Kleinere und mittlere Flughäfen verfügen oft nicht über die Expertise, aus dem vielfältigen Angebot die Einzelkomponenten optimal zu kombinieren", so Pawlischek. Aber auch für große Flughafenbetreiber ist es spannend, im SAC zu sehen, wie sich Synergien besser nutzen lassen.

"Wir können hier zeigen, dass die Systeme nur im Zusammenspiel wirklich effizient arbeiten", erklärt Günter Menden, Sprecher des Sector Development Boards für Flughäfen und Leiter des Geschäftsgebiets Airport Logistics im Bereich Industrial Solutions and Services (I&S) in Nürnberg. Wer Technik von Siemens für Flughäfen einsetzt, ist Kunde verschiedener Siemens-Bereiche. So stammen Biometrieverfahren, Sicherheitseinrichtungen und die Gebäudeautomatisierung von Building Technologies (SBT), das Fluginformationssystem von Siemens Business Services (SBS), Anlagen zur Energieversorgung von Power Transmission and Distribution (PTD), die Gepäckförderanlage von I&S, Komponenten dazu von Automation and Drives (A&D) und das Lichtführungssystem auf dem Rollfeld ebenfalls von I&S.

Menden zeigt auf die 27 Monitore im Airport Operation Center (AOC) – die Steuer- und Informationszentrale für alle Logistik- und Infrastruktur-Segmente des SAC. Hier werden alle Fäden gezogen, die den Betrieb am Laufen halten. Ob Flottenmanagement, Gebäudeautomatisierung, Fluginformations- oder Gepäckfördersystem – sie alle können betroffen sein, wenn sich eine Variable des hoch komplexen Flugbetriebs ändert. Kommt eine Maschine etwa mit zwei Stunden Verspätung an, müssen Wartungsfahrzeuge umdirigiert, Wachpersonal anders eingeteilt und Speicherkapazitäten des Gepäcksystems neu berechnet werden. "Das bekommt der für die Gebäudetechnik zuständige Kollege im AOC automatisch mit und fährt etwa die Raumtemperatur für den betreffenden Gebäudeteil gleich mal ein paar Grad runter", beschreibt Menden einen der Synergieeffekte, den er im AOC nachspielen kann.

Rasende Koffer. Wenn das AOC das Hirn eines Flughafens ist, so ist die Gepäckförderanlage der Bauch. Nur 3 m neben dem AOC gleiten Förderbänder fast lautlos durch mehrere Ebenen einer großen Halle. Im SAC steht nach den Flughäfen in Frankfurt und München die größte Anlage in Deutschland. Sie könnte Stunde für Stunde je 5 000 Koffer sortieren, doch jetzt liegen nur einige wenige ramponierte Exemplare auf den Transportschalen. "Um Vollauslastung zu simulieren, brauchen wir keine Koffer, sondern nur die RFID-Tags. Das sind Etiketten, die einen Chip mit den Daten über die Zielorte der Koffer tragen", erklärt Pawlischek.

Jeder Koffer erhält beim Einchecken einen Barcode und wird dann in einen Behälter der Förderanlage übergeben. An diesem befindet sich der Tag mit einem Mikrochip, auf den die Daten des Barcodes an einem Scannertor automatisch überspielt werden. Der Tag meldet der übergeordneten Informationstechnologie, wohin der Koffer transportiert werden soll. 10 m/s können die Gepäckstücke maximal zurücklegen, das ist zurzeit der weltweite Spitzenwert. Erstmals hat Siemens auch Steigungen bis zu 17 ° in der Förderanlage realisiert. "Solche Anlagen werden in Stockwerken unter der Erde betrieben", sagt Pawlischek, "denn beim Bau eines Flughafens wird aus Kostengründen der Flächen- und Raumverbrauch so klein wie möglich gehalten".

Damit die Choreographie von Bändern, Weichen und Kippschalen reibungslos funktioniert, wurden im SAC 1 200 Näherungsschalter und Lichtschranken sowie 545 Antriebe verbaut. Was hier mit tänzerisch anmutender Leichtigkeit vorgeführt wird, wiegt schwer in der Realität eines Flughafenbetriebs. Denn Fluggesellschaften wollen ihre Maschinen in der Luft sehen, nur dann verdienen sie Geld. Und Passagiere wollen möglichst schnell ihren Anschlussflug nehmen. Ihre Koffer müssen natürlich dabei sein. "Ein verspätetes oder verloren gegangenes Gepäckstück kostet viel Geld, vom Imageschaden gar nicht zu reden", erklärt Pawlischek. Die kürzestmögliche Umsteigezeit (minimum connecting time, MCT) ist daher eine der wichtigsten betriebswirtschaftlichen Größen. Diese MCT liegt z.B. am Flughafen München dank Siemens-Technologie unter 30 Minuten – ein weltweiter Rekord.

Um Zeit in Geld zu verwandeln, müssen Gepäckförderanlagen zudem sehr zuverlässig sein. So wird der Flughafen Peking mit einer neuen Siemens-Anlage am Terminal 3 seine Kapazität mehr als verdoppeln: von derzeit 28 auf 60 Millionen Passagiere. Das Zusammenspiel von Soft- und Hardware für diese riesige Anlage testen die Entwickler kontinuierlich im SAC – ein immenser Vorteil, weil so die spätere Inbetriebnahme in Peking wesentlich schneller vonstatten gehen kann. Das SAC dient den Kunden zudem als Trainingscenter. So werden künftig Dutzende von Mitarbeitern des Flughafens Peking hier in Franken verschiedenste Szenarien durchspielen und erste Erfahrungen sammeln.

Die elegante Test-Lounge im SAC ist meist verwaist. Doch in den realen Flughäfen dieser Welt halten sich immer mehr Menschen auf. Das stellt die Sicherheitssysteme vor große Herausforderungen. Nicht nur die Reisenden müssen beim Einchecken und Boarding zweifelsfrei identifiziert werden, auch das Personal muss ständig Zutrittsberechtigungen für bestimmte Bereiche nachweisen.

Gesichtskontur als Ausweis. Mit dem 3D- Gesichtsscanner zeigt das SAC, wie schnell und sicher das funktioniert: Forscher von Siemens Corporate Technology haben vor einigen Jahren dieses neuartige biometrische Erkennungssystem entwickelt, das nun in Zusammenarbeit mit der US-Firma Viisage auf den Markt gebracht wird (siehe Pictures of the Future, Frühjahr 2003, Biometrische Techniken). Ein farbiges Raster wird auf das Gesicht projiziert. Eine Videokamera erfasst die Abstände der durch das Raster bestimmten Gesichtspunkte, die bei jedem Menschen einmalig sind. Diese Referenzpunkte vergleicht das System mit den zuvor gespeicherten Daten. Störeffekte durch Beleuchtung oder Kopfhaltung, wie sie bei 2D-Verfahren bekannt sind, lassen sich so deutlich reduzieren.

Zwar gibt es im SAC keine Shopping Center, doch die Experten wissen sehr wohl, dass sich Flughäfen immer mehr zu Erlebniswelten mit ausgedehnten Einkaufs- und Freizeitarealen entwickeln. "Menschen in Flughäfen sollen möglichst wenig an Abfertigungspunkten warten, sondern Zeit gewinnen, um beispielsweise entspannt einzukaufen", entwirft Pawlischek das Zukunftsszenario. Und dabei sollen sie sich sicher fühlen. Im SAC testen die Entwickler neue Überwachungssysteme mit automatischer Erkennung möglicher Risikofaktoren. Dabei gleicht eine spezielle Software ständig die Daten, die sie von Kameras erhält, mit zuvor erlernten Gefahrensituationen ab. Das kann ein einsamer Koffer sein, aber auch eine Person, die am Boden liegt.

Auch auf dem Rollfeld ändern sich die Abläufe. Die Maschinen folgen heute dem Weg, der ihnen von Leuchtdioden angezeigt wird – gesteuert aus dem jeweiligen AOC. Beim Andocken an die Gangway filmt eine Videokamera das Flugzeug, eine Software berechnet laufend die Abstände und projiziert die Daten auf einen Monitor für den Piloten. Die Flugfeld-Beleuchtung führt das SAC-Team vorsichtshalber nur auf einer kleinen Fläche im Freien vor – mit einem Fahrzeug auf dem Parkplatz. Die Experten wollen verhindern, dass landende Flugzeuge sich in der Adresse irren. Schließlich ist der echte Nürnberger Flughafen nur wenige Kilometer entfernt.
Katrin Nikolaus

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